Frau Dr. Leube: Informationen zur genetischen Diagnostik

Frau Dr. Leube: Informationen zur genetischen Diagnostik bei Multiplen Exostosen - Stand 1.6.2003

Allgemeine Grundlagen

Das menschliche Genom, d.h. das gesamte genetische Material oder auch die DNS (Desoxyribonukleinsäure, engl. DNA), besteht aus ca. 3 Milliarden Baubestandteilen, den sogenannten Nukleotiden.

Das Genom liegt in jeder Körperzelle doppelt vor. Eine Kopie stammt jeweils vom Vater, eine von der Mutter. Das Genom ist verpackt in insgesamt 2x23 Verpackungseinheiten, den sogenannten Chromosomen. Die Chromosomen kann man unter bestimmten Bedingungen mit einem Mikroskop erkennen, die einzelnen Nukleotide sind dafür jedoch zu klein. (Für eine mikroskopisch sichtbare Verkürzung eines Chromosoms müssen mindestens ca. 1 Million Nukleotide fehlen). Die einzelnen Nukleotide kann man deshalb nur mit komplizierten biochemischen Reaktionen nachweisen.

Grundlagen bei Multiplen Exostosen

Bei Multiplen Exostosen liegt auf genetischer Ebene eine Veränderung vor, die meistens nur aus einem einzigen veränderten Nukleotid besteht. Multiple Exostosen sind daher bei einer routinemäßig durchführbaren, mikroskopischen Chromosomenanalyse in aller Regel nicht erkennbar.

Multiple Exostosen können durch Veränderungen verschiedener Gene hervorgerufen werden. In einer Familie liegt jedoch immer nur eine bestimmte Veränderung eines dieser Gene vor. Man kennt derzeit 2 Gene (EXT1 mit 2241 Nukleotiden und EXT2 mit 2157 Nukleotiden), in denen Veränderungen zu multiplen Exostosen führen können. Da praktisch jede Familie eine andere genetische Veränderung aufweist, muss für eine genetische Diagnostik im Extremfall jedes einzelne dieser über 4400 Nukleotide analysiert werden. Da dies sehr aufwändig ist und sich derzeit keine verbesserte Behandlungsmöglichkeit eröffnet, gibt es in Deutschland derzeit kein Institut, das diese Untersuchung für diagnostische Zwecke anbietet.

Darüber hinaus vermutet man ein weiteres Gen, EXT3 auf dem Chromosom 19, das aber bisher nicht identifiziert werden konnte.

Schließlich gibt es auch noch Familien, in denen man nachweisen konnte, dass keiner der bisher bekannten Genorte in Frage kommt, so dass mindestens ein weiteres, bisher namenloses Gen für Multiple Exostosen existieren muss.

Schlussfolgerungen

Mit den bisher verfügbaren Methoden kann deshalb nur bei einem Teil (ca. 50-75%) der Betroffenen die verantwortliche genetische Veränderung nachgewiesen werden. (Demgegenüber kann eine klinisch orthopädische Untersuchung spätestens ab der Pubertät bei über 90-95% der Betroffenen die Diagnose stellen).

Das bedeutet

  • für Betroffene: dass eine genetische Diagnostik eine klinische Verdachtsdiagnose höchstens bestätigen, aber nie widerlegen kann.
  • für Verwandte von Betroffenen: dass eine Anlageträgerschaft mit genetischer Diagnostik nur dann nachgewiesen bzw. ausgeschlossen werden kann, wenn vorher eine genetische Veränderung bei einem Betroffenen in der Familie nachgewiesen werden konnte.


Aus der Art der genetischen Veränderung kann derzeit keine Aussage über den Schweregrad oder den zu erwartenden Verlauf der Erkrankung abgeleitet werden. (An diesem Punkt forscht eine Studie der Universität Düsseldorf, deren Informationsblatt hier verfügbar ist.)

Ergänzende Informationen zur Vererbung

Wie oben angedeutet, besitzt jeder Mensch 2 Kopien von den Genen, in denen Veränderungen zu multiplen Exostosen führen können. Für die Erkrankung reicht es aus, wenn nur eine Kopie verändert ist. Jeder Betroffene besitzt also in der Regel eine veränderte und eine unveränderte Kopie. An jedes seiner Kinder gibt er entweder die eine oder die andere Kopie weiter. Beides ist gleich wahrscheinlich, so dass statistisch gesehen die Wiederholungswahrscheinlichkeit bei jedem Kind 50% beträgt. Dabei sind Mädchen genauso häufig betroffen wie Jungen. Von einigen Wissenschaftlern wird vermutet, dass die Erkrankung bei Jungen im Durchschnitt etwas schwerer verläuft als bei Mädchen. Im Einzelfall lässt sich daraus aber keine sichere Vorhersage ableiten.

Bei einem Teil der Betroffenen (bis zu 40%) ist kein betroffener Elternteil bekannt. Das kann entweder daran liegen, dass die Ausprägung beim betroffenen Elternteil so mild war, dass keine Beschwerden auftraten (das ist wahrscheinlich bei ca. einem Drittel der Anlageträger der Fall) oder es liegt eine eine spontane Erbgutveränderung (sogenannte Neumutation) vor, die nicht von den Eltern ererbt wurde. Für die zukünftige Vererbung spielt es aber keine Rolle, ob die Erkrankung vererbt wurde oder neu aufgetreten ist.

Erstveröffentlichung am 10.06.2003 - letzte Änderung/Überprüfung dieser Internetseite am 09.02.2017